München war schon immer stolz auf sein Umweltbewußtsein und seine alternative Community. Im Jahr 2010 beschloß der Stadtrat, München noch Radl*-freundlicher zu machen (*zu Hochdeutsch: Fahrrad) und rief eine Kampagne für die Förderung des Fahrradverkehrs ins Leben. Doch man begnügte sich nicht mit einer Art Werbekampagne nach dem Motto „Fahre lieber Rad statt Auto.“ Nein, man trumpfte gleich richtig auf und rief München zur „Radlhauptstadt“ aus.
Einher gingen Maßnahmen zum Ausbau des Radwegenetzes. Eine tolle Sache! Laut Angaben der Stadtverwaltung (siehe Internetauftritt der Kampagne „Radlhauptstadt München“) ist zwischen 2008 und 2011 der Fahrradverkehr um 30% gestiegen. Im Vergleich zu Messungen aus dem Jahr 2002 sogar um 70% (!). Auch für Touristen ist das eine wunderbare Entwicklung. Denn so könnt Ihr euch insbesondere im Sommer ein Fahrrad leihen und auf den kilometerlangen Wegen die Stadt erkunden.
Doch leider ist nicht alles Gold was glänzt. Auch diese schöne Idee hat Kehrseiten, die uns im täglichen Münchner Verkehr und auch als Greeter immer wieder vor Augen geführt werden.
Durch die starke Forcierung des Fahrradverkehrs hat sich anscheinend im – nennen wir es mal „kollektiven Radlfahrerbewusstsein“ – eine Art verkehrstechnische Vorrangstellung etabliert, die mit teils außerordentlicher Chuzpe in alle Richtungen transportiert wird.
Lasst mich von täglichen Vorkommnissen berichten… als Autofahrer, (Mit-)Radfahrer und Fußgänger:
München, Schellingstraße / Arcisstraße, 17:58 Uhr:
Ich bin mit dem Auto auf dem Weg nach Hause und biege rechts in die Arcisstraße. Zuvor sah ich bereits einen Radfahrer, den ich schon einen Block zuvor überholte. Entfernung ca. 100m. Nachdem die letzten Fußgänger die Ampel passieren, fahre ich an, muss jedoch sofort eine Vollbremsung machen, da besagter Radfahrer an meiner Motorhaube vorbeihuscht. Dabei ballt er die Faust und lässt eben diese mit Rufen unflätiger Ausdrücke auf meine Motorhaube niedersausen. Nun, denke ich mir… wie war das mit „rechts überholen“? Also ich würde mich das nicht trauen. Hut ab vor diesem todesmutigen Kandidaten, der ein abbiegendes Auto von hinten kommend rechts überholt.
München, Rotkreuzplatz, 14:44 Uhr:
Ich stehe an der Fußgängerampel und möchte eigentlich nur kurz etwas einkaufen. Die Ampel wird grün und ich gehe meiner Wege. Auf der anderen Seite angekommen sehe ich mich nochmal um, da ein Auto hupt. Ein Taxi, das rechts abbiegen wollte, teilt einem Fahrradfahrer, der bei Rot über die Ampel gefahren ist, mit, er möge das nächste Mal zu seiner eigenen Sicherheit nicht bei Rot über die Ampel fahren. Der Radfahrer hält daraufhin an, springt innerhalb von Zehntelsekunden vom Rad und wirft selbiges vor das Taxi, während er den Fahrer beschimpft und eine handgreifliche Auseinandersetzung androht.
München, Bavariaring, 17:02 Uhr:
Ein nettes amerikanisches Paar, das mit mir auf einem Greeterspaziergang unterwegs ist, tritt unvorsichtigerweise auf den Fahrradweg. Das führt zu einer sofortigen Reaktion des Radlers: „Des is a Fahrradweg, ihr Deppen!“ Ich glaube, die Gäste werden die Münchner Radfahrer nicht unbedingt als die freundlichsten Menschen in Erinnerung behalten.
München, Heßstraße, 19:32 Uhr:
Ich habe eine Verabredung mit Freunden in einer Bar und laufe den Gehweg der Heßstraße hinunter. Etwa 20 Meter vor mir ein älterer Herr mit Stock und Hut. Hinter mir ertönen auf einmal zwei Fahrradklingeln. Ich gehe zur Seite, damit ein junges Pärchen auf Fahrrädern passieren kann. Der ältere Herr ist da nicht so nachgiebig und meint im schönsten Münchnerisch „Geh fahrts hoit auf da Straß so wia ses ghert…“ (Ach fahrt doch bitte auf der Straße, so wie es auch vorgesehen ist). Die beiden drängen sich an dem Mann vorbei und teilen ihm unmißverständlich mit, dass er nichts zu sagen habe.
Versteht mich nicht falsch. Ich fahre gerne Rad und finde es toll, dass München alle Radler unterstützt. Aber das Gebaren einiger und – wie es scheint doch nicht weniger Zeitgenossen – auf dem Rad kann durchaus verbessert werden.
Auf dass München-Besucher noch mehr begeistert sein können von der innovativen, umweltfreundlichen Stadt und ihren Bewohnern.
Bis es soweit ist, rate ich jedoch allen München-Besuchern, die sich im Verkehr bewegen, folgende „Goldenen Regeln der Radlhauptstadt“ einzuhalten:
- Betrete niemals, niemals, niemals, niemals…..niemals als Fußgänger den Fahrradweg. Schon gar nicht ohne dich umzusehen!
- Kommen Radfahrer auf dem Fußgängerweg entgegen, mache ihnen Platz.
- Habe als Autofahrer immer einen Blick auf die Radfahrer, die sich auf der Straße befinden! Und denke am besten für sie mit.
- Erwarte als Autofahrer nicht, dass sich Radfahrer, die auf der Straße fahren, sich als Fahrzeuge verhalten. Passe daher insbesondere beim Abbiegen auf, wenn Radfahrer von der Straße blitzschnell auf den Fußgängerweg wechseln und über Fußgängerampeln fahren (auch wenn rot ist).
- Erwarte als Fahrer eines Transportfahrzeugs mit großem toten Winkel und eingeschränkter Sicht nicht, dass Fahrradfahrer dies akzeptieren und auf dich Rücksicht nehmen.
- Als Fahrradfahrer auf dem Radweg mache immer Platz für die, die es eilig haben und mit 35km/h quasi auf der linken Fahrradspur mit gesetztem Blinker und Lichthupe fahren.
- Erwarte als Fahrradfahrer nicht, dass vor Dir fahrende Fahrradfahrer zeigen, was sie als nächstes tun.
+1
Nett zusammengestellte Beispiele des Alltags in irgendeiner Großstadt.
Ja, die Regeln muss man auch beim Umgang mit Radfahrern in Berlin-Prenzlauer Berg beachten. Die drängen auf den Bürgersteigen inzwischen sogar Kinder ab, fahren an Häuserecken Kinderwägen über den Haufen und Joggern von hinten in die Hacken. Fußgänger stoppen inzwischen an einer grünen Fußgängerampel schon vorauseilend, um die Fahrradfahrer, die über die rote Ampel rasen, vorbei zu lassen. Und wer etwas dagegen sagt, wird bepöbelt oder zumindest ausgelacht.
Trotzdem irgendwie schön zu sehen, dass es sich nicht um ein Berlin-Problem handelt… schöne Grüße nach München. 🙂
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… Die drei Vorfälle sehen aus der Perspektive des Radler ganz anders aus:
1: Radfahrer fährt auf benutzungsplichtigem Radweg neben der Arcisstraße. Der Fahrer des abbiegenden KFZ wartet um Fußgäger queren zu lassen, dann fährt er aber ohne erneuten (und von der StVO geforderten Schulterblick an und versperrt den Radweg. und das obwohl er wissen musste, dass in wenig mehr als 10s ein Radler kommen muss.
2:
Fahrradfahrer fährt zügig auf eine Ampel zu, da es sich um eine kombinierte Rad / Fußgänger Ampel handelt gibt es keine Gelbphase. Der Taxifahrer achtet nicht auf den Radverkehr (wieder von der StVo gefordert) sondern fährt unmittelbar loß, als die Fußgängerampel umschaltet.
Der Radfahrer, der zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon in der Kreuzung ist hat keine Chance mehr.
3:
Radfahrer in München hat auf den letzten 2 km ca. 10 mal eine Gefahrenbremsung hinlegen müssen, weil mal wieder den Radweg komplett ignoriert. Das amerikanische Pärchen hatte Pech, dass sie die waren die den angestauten Frust abgekommen haben. Dem Radler tut es leid, dass er gerade Turis angemotzt hat, die wirklich weder vorsätlich noch fahrlässig gehandelt haben.
ach ja, für die Gehwegradler habe ich keine Entschuldiung. Da hatte der ältere Herr mit seinem Kommentar vollkommen recht.