Um die vorletzte Jahrhundertwende war München Anziehungspunkt für eine Reihe ungewöhnlicher Persönlichkeiten, die der Stadt manchmal sogar ein bauliches Gepräge gaben. Von welchem Gebäude die Rede ist, erfahrt ihr hier…
Das Atelier Elvira wurde 1887 von Anita Augspurg und ihrer damaligen Freundin Sophie Goudstikker als Fotostudio gegründet. Es lag an der Von-der-Tann-Straße 15, schräg gegenüber dem Prinz-Carl-Palais, und war das erste Frauenunternehmen Deutschlands. Die beiden Frauen galten mit ihren Kurzhaarfrisuren, ihrer Reformkleidung, ihren öffentlichen Bekenntnissen für den Kampf der Frauenbefreiung und ihrem Lebensstil als auffällige Erscheinungen ihrer Zeit.
Die Kunden störte dies überhaupt nicht – das Studio fand Anklang, nicht nur bei wohlhabenden Bürgern, sondern auch bei Adeligen, Hof- und Staatsbeamten. Mit Goudstikkers Ernennung zur Königlich Bayerischen Hofphotographin durfte das Fotostudio die Bezeichnung Hofatelier führen. 1897 entschlossen sich Augspurg und Goudstikker zu einem Neubau, der nicht unumstritten war. Insbesondere die Fassade regte zu bissigen Kommentaren an: Das Haus sei „eine Drachenburg“, errichtet im „Polypenrokoko“. Tatsächlich zeigt die Fassade keinen Drachen, keine Muschel und auch keine Meerjungfrau. Sie stellt Gefühle dar, die durch die Bewegung der Formen vermittelt werden: Kraft, Leichtigkeit, Schärfe, Verspieltheit.
Bald nach der Fertigstellung des Hauses trennten sich die beiden Frauen. Augspurg verkaufte 1907 ihren Anteil an Goudstikker und diese verpachtete das Atelier weiter. Im Herbst 1933 wurde im Haus eine SA-Einheit einquartiert, später dann, im Zuge der Neugestaltung der Von-der-Tann-Straße, eine Baukantine. Der Freistaat Bayern erwarb nach dem Krieg das Grundstück und überließ es den USA für den Neubau ihres Generalkonsulatsgebäudes. Übrig geblieben sind Fotos und die Erinnerung an das bekannteste Werk des Münchener Jugendstils. Anita Augspurg war Schauspielerin, Fotografin und promovierte Juristin. Sie engagierte sich um die vorletzte Jahrhundertwende in Berlin für die Rechte der Frau im Bürgerlichen Gesetzbuch: Sie brachte Petitionen zum neuen Ehe- und Familienrecht ein, die nur zum Teil Wirkung zeigten. Außerdem kooperierte sie mit Kurt Eisner und wurde nach der Proklamation der Bayerischen Republik 1918 Mitglied des provisorischen bayerischen Parlaments. 1933 konnte Augspurg wegen der Machtübernahme der NSDAP nicht von einer Winterreise zurückkehren, weil sie Repressalien befürchtete. Grund: Sie hatte bereits 1923 gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann beim bayerischen Innenminister die Ausweisung des Österreichers Adolf Hitler wegen Volksverhetzung beantragt. So lebte sie bis zu ihrem Tod 1943 gemeinsam mit Heymann im Schweizer Exil.Die Stadt München verleiht seit 1994 jährlich den mit rund 5.000 Euro dotierten Anita-Augspurg-Preis zur Förderung der Gleichberechtigung von Frauen.
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